Wie wirkt der Sterntalerhof aus deiner Sicht?
Ich glaube, dass der Sterntalerhof auf vielen verschiedenen Ebenen wirkt. Es ist ein Zusammen-Wirken der Menschen, der Tiere, der Therapieformen. Und dieses Zusammenwirken bewirkt wiederum eine ganz besondere Atmosphäre, eine eigene Stimmung am Sterntalerhof. Eine gute Stimmung. Einerseits ruhig und naturnah. Andererseits fröhlich und bunt. Der Sterntalerhof ist ein lebendiger Ort, ein Ort, an dem gelebt wird. Und ich glaube, dass diese Stimmung bewirkt, dass sich die Familien auf uns einlassen und sich uns öffnen.
Wie bist du an den Sterntalerhof gekommen?
Ich habe schon als Jugendliche gewusst, dass ich mit Kindern arbeiten will, die es nicht leicht haben, die aufgrund ihrer besonderen Bedürfnisse in der Gesellschaft oft nicht gleich behandelt werden. Und Pferde liebe ich seit meiner Kindheit. Dass man beides verbinden kann – das habe ich mit 19 Jahren erfahren. Nach einem Praktikum habe ich dann am Sterntalerhof begonnen zunächst im ambulanten, später im stationären Bereich. Und ich habe vom ersten Tag an gewusst – das ist es, das will ich machen!
Damit begegnest du aber auch viel Leid und Traurigkeit.
Ja, wir begegnen dem Tod, dem Abschied, der Trauer. Und wir begegnen Familien, die unheimlich schwierige Wege vor sich haben.
Fragst du dich dann auch: „Wie schaffen die das?“
Die Frage erübrigt sich immer dann, wenn die Familien am Sterntalerhof angekommen sind. Sie alle finden einen Weg es zu schaffen und dafür gebührt ihnen höchste Anerkennung und Wertschätzung. Als Therapeutin muss ich mich eher Fragen: Wie können wir diesen Weg ein Stück weit gemeinsam gehen? Wie kann ich diesen Menschen für diesen Weg einen Wanderstock geben, einen Proviant? Wie kann ich ihnen eine Bank zeigen, auf der sie sich ein bisschen ausruhen können – oder ein Pferd, von dem sie sich ein Stück weit tragen lassen können? Wenn mir das gelingt – dann steht nicht länger die Traurigkeit im Vordergrund, sondern eher die Anerkennung, die Wertschätzung.
Woran spürst du, dass dir das gelingt?
Es sind diese ganz besonderen Momente, die es immer wieder gibt. Momente, in denen man spürt, dass man sich versteht, dass man eine Verbindung hat. Momente der gegenseitigen Zugewandtheit: Eine Mutter macht die Augen zu und atmet durch – und das Pferd macht die Augen zu und atmet durch. Das Leuchten in den Augen, wenn jemand, der schon lange nicht mehr gehen kann, plötzlich auf einem Pferd reitet. Von solchen Momenten Zeuge zu werden – das ist für mich eine der schönsten Seiten meines Berufs.
Wühlt dich das nicht auch selbst emotional auf?
Peter Kai (Sterntalerhof-Gründer, Anm.) hat einmal gesagt: Wenn wir die Menschen berühren wollen, müssen wir selbst berührbar sein. Ich muss und ich will mit allem was ich bin am Sterntalerhof sein. Und ich muss dann, mit allem was ich bin, wieder gut und abgegrenzt zuhause sein.
Machst du das bewusst, dieses Abgrenzen?
Ich habe das früh gelernt. Anfangs habe ich noch sehr viel mit nach Hause genommen habe und dann viel geträumt oder schlecht geschlafen. Damals bin ich mit dem Bus nach Hause gefahren. Und irgendwann hab ich mir gesagt: Ab dieser einen gewissen Busstation, da dürfen diese Gedanken nicht mehr sein, dann habe ich bewusst „Stopp“ zu mir selbst gesagt. Das hat mir damals geholfen, die Dinge einzuordnen, zeitlich und räumlich. Heute versuche ich, diese Dinge bewusst am Sterntalerhof zu lassen: Wenn ich spüre, dass mich noch etwas bewegt, bleibe ich noch ein bisschen, gehe nochmals zu den Pferden oder zur Kapelle. Zuhause dürfen gute Ideen oder Strategien kommen – aber schlechte Gedankenkreisel haben keinen Zutritt.
Du bist jetzt selbst eine junge Mutter. Wird das schwieriger, wenn man selbst Kinder hat?
Ich weiß von vielen Krankheiten und Dingen, die passieren können. Während meiner Schwangerschaft habe ich gemerkt, dass ich mir bewusst machen muss: Ich kenne diese Geschichten – aber es ist nicht meine Geschichte. Gleichzeitig möchte ich vor diesen Geschichten aber auch nicht die Augen verschließen, sondern ihnen offen begegnen. Und ich finde, das sollten wir alle tun.
Wie meinst du das?
Eine Behinderung, eine Krankheit, der Tod – sie sind Teil unseres Menschseins. In unserer Gesellschaft sind diese Themen aber nicht richtig abgebildet. Betroffene gelten oft als „arm“ und „bemitleidenswert“. Das zeigt sich schon in eben dieser berühmten Frage „Wie schaffen die das?“. Oder in der Frage, die man mir immer wieder zu meinem Beruf stellt: „Wie schaffst du das?“. Ich denke, so mancher würde es „schaffen“, sich damit tiefer auseinanderzusetzen – wenn da nicht so viele Berührungsängste wären. Wir brauchen als Gesellschaft mehr Bewusstsein für diese Themen.
Hast du dafür ein konkretes Beispiel?
Die Medien bilden Menschen mit einer Behinderung generell selten ab – und wenn, dann nur immer in einem konkreten Kontext. Dabei könnten grade die Medien einen starken Beitrag leisten, Berührungsängste abzubauen. Oder die Werbung. Warum nicht einfach in einem Katalog für Kinderkleidung auf Seite 27 ein Kind im Rollstuhl abbilden. Und auf Seite 136 eines mit Down Syndrom. Unkommentiert – einfach nur, weil es zum Leben dazugehört.
Wenn das Jahr nun bald zu Ende geht – gibt es etwas, auf das du dich freust?
Ich bin aktuell noch in Karenz – aber schon bald wieder am Sterntalerhof. Darauf freue ich mich sehr. Und natürlich auf Estrella und die anderen Pferde. Und ich freue mich auf viele besondere Begegnungen im neuen Jahr.