Wie geht es Ihnen wirklich?

Dr. Peter Okeke ist Seelsorger und Psychotherapeut, Afrikaner und Österreicher – und er ist alles gleichermaßen. Der perfekte Mann für ein Gespräch über Grenzen.

© Sterntalerhof

Grenzen überwinden – inwiefern begleitet das Ihren Alltag?
Immer dann, wenn ein Mensch sich auftut. Es braucht soviel Mut. Man muss Vertrauen gewinnen, dass da jemand ist, der einem zuhört. Man muss das Gefühl bekommen, jetzt passt’s, jetzt kann ich mich offenlegen. Man muss loslassen, um etwas Neues möglich zu machen. Einen Weg zu bereiten, auf dem Menschen diese Grenze überwinden können – das ist mein Job.

Als Seelsorger genauso wie als Psychotherapeut?
Nun, ein Seelsorger sorgt sich um die Seele eines Menschen. Ein Psychotherapeut genauso. Insofern passt das für mich gut zusammen. Aber ich stelle fest: Die Menschen begegnen mir anders, je nachdem, ob ich als Priester oder Therapeut wirke – im psychotherapeutischen Gespräch sind sie tendenziell offener. Die Psychotherapie verfolgt den Ansatz: Du kannst das sein, was du bist. Das motiviert.

Wieviel von beidem steckt in Ihrer Arbeit für den Sterntalerhof?
Es geht immer darum, einem Menschen zu begegnen, der Hilfe braucht. Ich muss unabhängig beginnen, auch unabhängig vom Glauben. Worum geht’s, welche Themen, welche Probleme stehen im Raum? Im weiteren Verlauf muss ich dann spüren: Was passt besser zu dem Menschen, was braucht er von mir, wo begegne ich ihm, welches Instrument wähle ich? Schließlich kann ich von beiden Seiten operieren, als Priester und/oder als Therapeut. Das gibt mir eine gewisse Leichtigkeit in den Begegnungen mit den Menschen.

Gibt’s da nicht auch Widersprüche?
Vielleicht, wenn eine Scheidung im Raum steht (lacht). Dennoch empfinde ich es als spannend und ergänzend – und allfällige Grenzen lasse ich ganz offen verschwimmen. Manchmal steige ich aus dem Beichtstuhl und wirke psychotherapeutisch weiter, frage nach: Wie geht es Ihnen wirklich? In meinem Fokus muss stehen, dem Menschen zu helfen. Und dazu muss ich ihn erreichen – so oder so.

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Stoßen Sie dabei auch manchmal selbst an Grenzen?
Doch. Auch als Priester und als Therapeut bin ich Mensch – der seine Grenzen hat. Und es gab und gibt durchaus Menschen, die diese Grenzen überschreiten. Es ist wichtig, selbstachtsam zu sein und sich abzu-grenzen. Und ja, das ist immer wieder eine kleine Grenzüberwindung. Zu dieser Selbstachtsamkeit gehört aber auch, dass man zwischendurch auch abschalten kann.

Zum Beispiel mit Musik? Man nennt Sie ja auch den „Trommler Gottes“…
Genau! (lacht) Bei mir läuft fast immer Musik – von Bob Marley bis Klassik. Musik ist eine Sprache, die den Menschen zum Aufleben bringt. Und wenn ich nach Hause komme, den Kopf voll mit den Eindrücken des Tages, dann packe ich meine Trommel aus. Sie entfesselt neue Gefühle, sie hat auf mich eine therapeutische Wirkung. Und sie ist Ausdruck meines Afrika-Seins.

Sie leben seit 1983 hier – ist Österreich für Sie zur Heimat geworden?
Ich glaube, dass wir dort zuhause sind, wo wir Herzen haben, die für uns schlagen. Die habe ich hier in Österreich und ich habe sie in Nigeria. Insofern sehe ich mich als Kosmopolit – ich bin da und dort zuhause. Ich lebe sehr gerne hier im Burgenland. Aber nächste Woche fliege ich wieder für ein paar Wochen nach Nigeria, darauf freue ich mich sehr!

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Wieviel Österreich nehmen Sie mit nach Nigeria?
Mein Haus in Nigeria erinnert mich immer an eine Ordination – ab sechs Uhr früh stehen die Menschen an, mit ihren Problemen, Krankheiten oder Behinderungen, niemand ist für sie da. Hier in Österreich kennen wir ein wunderbares System der Inklusion hilfsbedürftiger Menschen in die Gesellschaft, der Sterntalerhof ist nur ein Beispiel. Dafür werbe ich in Afrika. Und natürlich für die Demokratie, für einen Kampf gegen die Korruption, für soziale Gerechtigkeit – dass niemand mehr unter die Räder kommen muss. Das versuche ich in Nigeria zu vermitteln, wenn ich dort bin – in Diskussionen mit Priesterkollegen oder auch in einer Predigt.

Und umgekehrt? Was aus Nigeria wäre gut für Österreich?
Die Lebensfreude. Dieses afrikanische Gefühl der Lebendigkeit. Die Offenheit. Die berühmte Philosophie Viktor Frankls „trotzdem JA zum Leben zu sagen“ – in Afrika wird sie gelebt. Die Menschen freuen sich über Kleinigkeiten. Das versuche ich zu importieren – und freue mich immer, wenn es gelingt, die Unzufriedenheit, den Grant ein bisschen zu besiegen.

Gelingt Ihnen das oft?
Ich arbeite daran (lacht). Aber ich stoße manchmal auch wieder an Grenzen – etwa, wenn man mir vorwirft, meine Gottesdienste seien „Show“, zu fröhlich oder zu lustig. Das ist der Afrikaner in mir – aber das passt auch nicht für alle.

Gibt es sie, die eine große Aussage, zu der Sie immer wieder zurückkehren – als Priester, als Therapeut, als Afrikaner, als Österreicher?
Oja, die gibt es! Es ist die Ruhe. Unsere Zeit ist geprägt von zunehmender Geschwindigkeit – sie betrifft alle Lebensbereiche. Aber Stress und Hektik sind Energieräuber. Viele Menschen marschieren neben sich selbst. Wir brauchen mehr Empathie mit uns selbst.

Wir brauchen Ruhe wie das tägliche Brot. Es gibt eine Stelle im Evangelium, in der Jesus sagt: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Ich verstehe das als Einladung zur Erholung, zur Auszeit. Erst wer zur Ruhe kommt, der kann sich selbst finden. Der kann wieder einen echten Kontakt mit sich selbst aufnehmen – und Grenzen überwinden. Das ist es, was meine Arbeit ausmacht. Und das ist es auch, was den Sterntalerhof ausmacht.

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