Eselzeit
Störrisch? I-Woooh! Ein Rendez-Vous mit den Eseln Trixi und Kasimir
Lesezeit: ca. 3 MinutenDieses Mal bleibt Trixi auf Distanz. Kasimir steht hinter ihr, wie so oft versteckt sich der Esel hinter der Eselin, wenn die Dinge suspekt sind. Und heute – ist irgendetwas anders. In sicherer Entfernung bleibt das Eselpärchen stehen, wartet ab, schnaubt leise, mustert die Menschen am Zaun mit bedachter Vorsicht. Eine Mutter, ein Vater, ein Mädchen in einem Rollstuhl und Therapeutin Elisabeth. Elisabeth kennt Trixi und Kasimir und die Esel kennen Elisabeth. Man sieht sich fast jeden Abend zur Abendrunde am Sterntalerhof – sie ist ein fester Bestandteil des Programms, nur eines der vielen Rituale, die den Tagen hier einen verlässlichen Rahmen geben. Mit Obst, Gemüse und g’schmackigen Restln aus der Küchenwerkstatt bepackt stehen sie dann am Zaun, die Mütter, Väter, Kinder und Geschwister und freuen sich auf die Esel wie die Esel auf ihr Festmahl, das überdies meist von ausgiebigen Streicheleinheiten begleitet wird. Kein Wunder also, dass Trixi und Kasimir üblicherweise dicht am Zaun stehen und die Menschen lautstark begrüßen, mit den berühmten I-Aaahs, so unüberhörbar kräftig, dass man in ganz Kitzladen von der Suppe aufsieht.
Seit über drei Jahren residiert das Eselpärchen am Sterntalerhof – in einem großen Gehege mit mittig gelegenem Offenstall. Elisabeth besucht die Esel nicht nur abends, sondern manchmal auch tagsüber: „Eselzeit“ steht dann am Therapieplan, die Begegnung mit dem Tier, eine Begegnung auf Augenhöhe: Denn im Unterschied zum meist größeren Pferd macht schon die niedrigere Schulterhöhe eines Esels den Kindern Lust auf ein näheres Kennenlernen – auch jenen, die vielleicht etwas schüchtern oder gar ängstlich sind. „Esel wollen entdeckt werden“, erzählt Elisabeth, „schon aufgrund dessen, was wir Menschen mit ihnen verbinden, stehen sie nicht im Rampenlicht.“ Ihren treuen Diensten als schwindelfreie Arbeitskräfte und ausdauernde Lastenträger begegnete die Menschheit eher undankbar mit übler Nachrede: Die sprichwörtlichen Klischees von Starrsinn und Sturheit gipfeln im Schimpfwort vom „dummen Esel“. Wer sich jedoch auf die Tiere einlässt, den überzeugen Esel schnell mit unerwartet feinen Wesenszügen: „Sie sind wunderbar sanftmütig“, weiß Elisabeth, „sie suchen die Nähe zum Menschen, sind dabei aber nie aufdringlich.“ Und für die Therapeutin besonders wichtig: „Sie bewegen sich ruhig und behalten auch dann noch die Contenance, wenn eine knackige Karotte winkt.“ Diese Verlässlichkeit macht entspannte Begegnungen möglich, auch mit Kindern, die in ihren Bewegungen eingeschränkt sind oder das Gehege per Rollstuhl erforschen. Dabei zeigt sich am Sterntalerhof eindrucksvoll, dass es gerade die kranken Kinder sind, für die Trixi und Kasimir ein besonderes Interesse hegen: Sie ziehen die kleinen Patienten den anderen Menschen vor, halten sich bis zu einer Stunde lang bei ihnen auf – auch dann, wenn die Eselzeit außerhalb der Fütterungszeiten stattfindet und die Leckereien ausbleiben. „Man muss sie nicht anlocken“, lächelt Elisabeth, „sie kommen, weil sie kommen wollen und sie bleiben, solange es geht.“
Uuund: schwupp!
An diesem Abend jedoch – ist das anders. Immer noch verharren Trixi und Kasimir in sicherem Abstand. Sie kennen Elisabeth, sie kennen die Mütter, die Väter, und auch kleine Mädchen in Rollstühlen. Was sie nicht kennen, ist das Beatmungsgerät. Es hängt am Rollstuhl und macht seltsam zischende Geräusche. „Im Unterschied zu Pferden sind Esel keine Fluchttiere“, erklärt Elisabeth leise. „Droht Gefahr, bleiben sie stehen und wägen ab – in den felsigen Regionen aus denen sie stammen, bewährt sich das besser, als einfach loszulaufen.“ Die Mutter, der Vater und das Mädchen warten ab, das Beatmungsgerät zischt weiter leise vor sich hin. Und noch während Elisabeth davon erzählt, dass eben dieses Verhalten wohl zum sturen Image der Tiere beitrug, beendet Trixi ihr Abwägen, setzt auf Vertrauen und nähert sich dem Rollstuhl. Langsam senkt sie ihren Kopf zu den Füßen des Mädchens und beginnt, das Kind zu beschnuppern. Behutsam folgt sie den Beinen bis hinauf zu einer Schachtel Taschentücher, die auf dem Schoß des Mädchens liegt – um dann mit einem gezielten Schwupps eins der Tücher aus der Box zu rupfen. Schallendes Gelächter, das Eis ist gebrochen, das Beatmungsgerät ist vergessen: für Eselin Trixi. Und in diesem Moment – auch für das Mädchen.