Herr Ochsenhofer, wie haben Sie die Pandemie erlebt?
In Wellen. Alle Entwicklungen und Veränderungen kamen und gingen in Wellen. Einerseits basiert unser Alltag auf den Erfahrungen, die wir in den Wellen zuvor gemacht haben – andererseits ändern sich mit den Wellen auch die Herausforderungen, denen wir im Gesundheitswesen gegenüberstehen.
Inwiefern hat sich das verändert?
Nun, die erste Welle brach wie ein Ausnahmezustand über uns herein. Niemand wusste, wie man mit dem Virus umgehen musste – und wie gefährlich es war. Überall fehlte es an Schutzausrüstung. Erinnern Sie sich an das fieberhafte Zusammentragen von Masken aus den Zeiten der Vogelgrippe? An die versprochenen Flieger mit Schutzausrüstung aus China, die an den Flughäfen von Menschen mit Geldkoffern abgefangen wurden? Dieses Chaos mischte sich mit Unsicherheit – und mit Angst.
Auch in der Belegschaft der Krankenhäuser?
Natürlich. Wenn Kolleginnen und Kollegen erkrankt sind, weil es an Schutzausrüstung fehlte – hat man sich gefragt, ob man der oder die Nächste ist. Oder ob es die Angehörigen treffen würde. Und wenn man sah, wie mitunter auch junge Menschen auf Intensivstationen behandelt werden mussten oder sogar starben – dann hat das zu dieser Angst beigetragen. Erst die Schutzausrüstung, die FFP2-Masken brachten hier einen signifikanten Paradigmenwechsel – sie brachten aber auch neue Belastungen.
Weil das Arbeiten mit Maske schwierig ist?
Zunächst mal hat uns die Maske Sicherheit gebracht. Aber ja, 12 Stunden lang Maske tragen ist anstrengend, vor allem im Sommer. Pflege ist mitunter auch körperliche Arbeit – und Schutzausrüstungen aus Kunststoff oder Kautschuk machen sie nicht leichter. Daran kann man gut erkennen wie sich die Herausforderungen über die Wellen verändern.
"Es gibt viele, die nimmer können. Es herrscht eine allgemeine Angespanntheit, die Menschen sind gereizt" - Dietmar Ochsenhofer über die Belastungsgrenzen im Gesundheitsbereich | © Sterntalerhof, Stephan Zwiauer
Es gibt also keinen „Gewöhnungseffekt“?
Ich würde eher sagen, mit den Wellen hat sich die Problematik verlagert. Heute sind es die Personalausfälle, mit denen wir zu kämpfen haben. Früher hatte man nach einem Nachtdienst vielleicht zwei Tage frei – heute musst du oft schon am nächsten Tag wieder für eine erkrankte Kollegin einspringen. Dazu kommen Belastungen im Privatleben, vor allem wenn man Kinder hat, etwa durch Unregelmäßigkeiten im Schulbetrieb oder ungeplante Schließungen im Kindergarten. Und das alles trifft auf eine Belegschaft, die nach zwei Jahren Pandemie einfach erschöpft ist.
Auch psychisch?
Die panische Sorge der ersten Welle ist einer gewissen Gewöhnung gewichen – dennoch bleiben immer Narben zurück. Mit der zweiten und dritten Welle hat sich dann ein zermürbender Dauerstress eingestellt. Alles ist immer wieder anders. Ständig werden neue Prioritäten gesetzt. Und wenn Operationen am Knie verschoben werden müssen, damit Krebspatienten dringende Eingriffe erhalten können – dann ist das immer auch für uns Menschen im Gesundheitswesen eine unbefriedigende Situation, weil es den Druck greifbar macht, unter dem wir als Gesellschaft stehen. Ich bin überzeugt, dass das auch einen Effekt auf die Psyche hat.
Wie deutlich spüren Sie diesen Effekt?
Es gibt viele, die nimmer können. Es herrscht eine allgemeine Angespanntheit, die Menschen sind gereizt – und ich denke, das liegt nicht an der momentanen, tatsächlichen Arbeitsbelastung, sondern eher an dieser langanhaltenden, diffusen Unsicherheit. Das ständige Einspringen. Die immer wieder wechselnden Teststrategien. Das Hin und Her bei den Regelungen.
…die Debatten um Masken und Impfung?
Nein, diese Diskussionen haben wir kaum. Wenn auch die allgemeine Gereiztheit der Gesellschaft nicht an den Gesundheitsberufen vorbeigeht.
"Wir sind das Gesundheits-Personal – Wir wollen helfen. das ist, was uns antreibt!" – Dietmar Ochsenhofer über die Motivation seiner Kolleginnen und Kollegen | © Sterntalerhof, Stephan Zwiauer
Die war ja zuletzt überall zu spüren.
Vereinzelt spüren wir das auch. Vor allem rund um die sich immer wieder ändernden Bestimmungen bezüglich Tests, Zutrittsregelungen und Besuchszeiten entsteht Reibungsfläche. Besonders wenn Besucher Unverständnis für die gesetzten Maßnahmen zeigen. Das ist aber glücklicherweise selten der Fall.
Hat sich der Blick auf die Gesundheitsberufe mit der Pandemie geändert?
Das steht zu hoffen. Für unsere Belegschaft ist es mir wichtig, dass die Gesamtheit erkannt wird. Jede und jeder leistet einen Beitrag – und nicht immer in Schutzausrüstung: Auch der hauswirtschaftliche Dienst, die Küche, die Technik, die Verwaltung, das Reinigungspersonal zählen zum Team.
Würden Sie sich dafür mehr Anerkennung wünschen?
Ich würde mir vor allem wünschen, dass der Personalmangel bei Ärzt*innen, Pflege und Medizinisch Technische Diensten erkannt wird. Es gibt Prognosen die sagen, dass schon im Jahr 2030 jede(r) Fünfte einen Gesundheitsberuf ergreifen müsste, damit wir unserer demografischen Entwicklung gerecht werden. Als Gesellschaft werden wir uns fragen müssen: Was ist uns Gesundheit wert? Wir werden echte Arbeitszufriedenheit schaffen müssen, um als Berufsfeld für junge Menschen wieder attraktiv zu sein. Dazu gehört Wertschätzung. Dazu gehört aber auch, dass wir nach Corona zu einer positiven Grundeinstellung zurückfinden.
„Nach Corona“ – das klingt optimistisch?
Natürlich (lacht). Ich bin ein optimistischer Mensch. Noch sind sie da, die Durchhalteparolen in unseren Krankenhäusern. Die Frage ist nur, wie lange noch? Aber wir haben bis jetzt durchgehalten, wir werden auch weiter durchhalten – denn am Ende geht’s um den Patienten. Es ist immer der Patient, der im Mittelpunkt steht. Wir sind Gesundheitspersonal. Wir wollen helfen. Das ist, was uns antreibt. Das ist auch, was uns durchhalten lässt.